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»Ihr Liebesleben begann in einem versteckten Winkel der Tenne. ›Aurelia sitzt im Heu, entblößt sich, und ich schau herum und greif das auch an, ihre Vulva‹. Am deutlichsten erinnert er sich an den Geruch, der von ihrem Geschlecht ausging, sobald er es berührte. Sie taten es wieder und wieder, zogen sich aus, betrachteten und befühlten einander. Jeden Sommer überließen sie sich in immer besseren Verstecken ihrer Lust. Acht Jahre ging das so, bis sie beide zwölf waren.« (Aus dem Kapitel über Ferdinand Bruner, Psychoanalytiker)

Haben Kinder Sex? Können Kinder lieben? Schon Sigmund Freud wusste: »Kurz gesagt, das Kind ist lange vor der Pubertät ein bis auf die Fortpflanzungsfähigkeit fertiges Liebeswesen.« Aber im Zuge eines neuen Sexualkonservatismus wird auch der alte Mythos von der kindlichen »Unschuld« neu belebt.

»Die Leidenschaft der Unschuldigen« belegt das Gegenteil: Dreizehn Frauen und Männer zwischen 30 und 80 Jahren teilten ihre Erinnerungen an romantische Schwärmereien, erotische Fantasien und sexuelle Abenteuer in ihrer Kindheit mit der Autorin. Die facettenreiche Sammlung von Erinnerungen – unter anderem von Dirk Bach und Klaus Staeck –, gewährt einen Blick auf das Liebesleben von Kindern: das Glück von Liebe und sexueller Entdeckerfreude auf der einen Seite, das Leiden unter Tabus und unerfüllter Sehnsucht auf der anderen.

Leseproben

Autor*innen

Ulrike Heider, Jg. 1947, studierte Politik und Germanistik. 1978 promovierte sie an der J.-W.- Goethe-Universität Frankfurt. Von 1976 bis 1982 war sie Lehrbeauftragte an der Universität Frankfurt und an der Universität Kassel. 1988 zog sie nach New York und war Visiting Scholar an der Columbia University. Seit 2000 lebt sie als freie Schriftstellerin in Berlin und New York. Sie schrieb Bücher, Essays und Radiosendungen zu den Themen Schüler- und Studentenbewegung, Anarchismus, afroamerikanische Politik und Sexualität. Zuletzt »Vögeln ist schön – Die Sexrevolte von 1968 und was von... [mehr]

Pressestimmen

  • »Mit großer Spannung lassen sich die Geschichten lesen, die mal anrührend sind, mal voller Poesie, und die die eigene Erinnerung schüren an die ersten Lebens- und Liebesversuche.« (Elmar Kraushaar, Berliner Zeitung)
  • »Ulrike Heider ist eine glänzende Chronistin.« (Peter Nowak, Der Freitag Online)
  • »Ulrike Heider macht deutlich, dass das Bild des absolut reinen und unschuldigen Kindes ein Mythos ist. Dabei ermöglichen die persönlichen Geschichten der Interviewten zugleich einen plastischen Einblick, wie sich sexualpolitische Konstellationen im Leben einzelner Individuen manifestieren und was dies für diese ganz konkret bedeutet.« (kritisch-lesen.de).
  • »Ich habe das Buch an einem Abend gelesen und bin begeistert. Kaum zu glauben, dass sich, wie ich dem Vorwort entnehme, jahrelang kein Verlag dafür fand. Und das aus moralischen Bedenken heraus: als müsse Kindheit plus Leidenschaft immer in Mißbrauch enden. Die Texte sind so fein zu lesen – es entwickelt sich nicht nur jede Geschichte neu, sondern auch das Buch und die Kenntnisse der Leserin. Und natürlich stand meine eigene Kindheit schnell vor Augen. Spannend.« (Prof. Dr. Brigitte Witzer).
  • »Dieses Buch erweckt unsere eigene Vorgeschichte zum Leben. Wie gingen Menschen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihrem Begehren um? Für die Älteren im Publikum ist das die eigene Biografie, für die Jüngeren die Atmosphäre des Aufwachsens. Der Mensch ist ‚sexuell’ von Geburt an, die Ausdrucksformen wandeln sich dramatisch während des gesamten Lebenslaufs. Bei Heider können wir dazu Anschauliches lesen, wie kaum irgendwo sonst. Die Kindheitsgeschichten, die ihr berichtet wurden und die sie nacherzählt, sind ungewöhnlich und originell. Die Vermutung einer Unschuld erweist sich als die Mythe, die sie eigentlich bereits seit Freud ist. Das Geschehen ist meist, aber nicht immer, harmlos – Stufen der Reifung eben, deren seelische Seite erst durch Konflikte wächst und sich härtet. Solche Einblicke, außerhalb therapeutischer Praxis, sind äußert rar und gewinnbringend. Als Wissenschaftler genoss ich zusätzlich Heiders Rückblick auf vier Jahrzehnte Sexualdiskurs, vor allem zum rätselhaften Versanden der Liberalisierung. Ein aufrichtiges, rundum ungewöhnliches Buch, das nur für solche Leser ein Tabu berühren mag, die vom Nicht-wissen-wollen geplagt sind. (Prof. em. Dr. iur. utr. Dr. phil. Rüdiger Lautmann).
  • »Die Erinnerungen zeigen, dass Sexualität Kindern nicht von außen und unter Zwang aufgedrängt wird, sondern sie vielmehr von sich aus schon sexuelle Wesen sind. Eingeleitet werden diese Erzählungen von einem Essay, in welchem die Autorin das Thema Liebe und Sexualität bei Kindern historisch nachzeichnet. Darin wird deutlich, dass der Umgang mit diesem Thema schon immer umkämpft war. Beispielsweise wurden Liberalisierungstendenzen, wie sie sich in den 1970er Jahren gesamtgesellschaftlich durchsetzen konnten, danach durch einen wachsenden Sexualkonservatismus wieder zurückgedrängt. Heute werden angeheizt von Debatten um Kindesmissbrauch und Kinderpornographie, traditionelle Vorstellungen von einer ungesunden und schmutzigen Sexualität, vor der die reine und asexuelle Kinderwelt geschützt werden müsse, gesellschaftlich wieder zunehmend virulent. So lassen sich die zum Teil sehr bewegten Biografien der interviewten auch als Plädoyer gegen diesen wachsenden Konservatismus lesen. Zugleich liefern sie spannende individuelle Einblicke in Erziehung- und Moralvorstellungen verschiedener Generationen.« (Moritz Strickert, analyse & kritik).

Interview

Interview mit Ulrike Heider von Theodora Becker in (HUch! Nr. 84).